Die Römer, der Fluss Lemene, ein Fahrradweg… die beiden im östlichen Venezien gelegenen Kleinstädte Concordia Sagittaria und Portrogruaroverbindet vieles. Ein Stadtbummel zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Wer in Concordia Sagittaria, mit einem Aperitif vor sich und mit Blick auf Kathedrale, auf Baptisterium und Glockenturm auf der Piazza sitzt, tut dies vielleicht eher im Gedanken, in einer sympathisch-beschaulichen italienischen Kleinstadt gelandet zu sein, als im Bewusstsein, sich in einer ehemaligen römischen Kolonie zu befinden. In einer Stadt, die in der römischen Kaiserzeit zu den bedeutenden Städten Oberitaliens zählte, nachdem sie im Jahr 42 vor Christus als Colonia Julia Concordia gegründet worden war. Genau dort, wo sich die beiden wichtigen römischen Straßen – die Via Annia und die Via Postumia – kreuzten. Ein ganz kleines Stück der Via Annia ist noch mit original Straßenbelag erhalten und kann besichtigt werden. So wie die Überreste einer römischen Brücke, die heute mitten in der Stadt liegen, weil dort einst ein Flussbett war. Aus der jüngeren Vergangenheit sind in Concordia beispielsweise die bereits erwähnte Kathedrale aus dem 10. Jahrhundert erhalten geblieben ein romanischer Glockenturm, eine byzantinische Taufkirche, das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert oder ein Bischofspalais, das bereits 1450 erbaut wurde. Vor dem ursprünglich aus der Renaissancezeit stammenden Rathaus, das nach einem Brand stilgetreu restauriert wurde, erinnert die Statue eines Arbeiters daran, dass dieser ganze Teil des östlichen Veneziens, in dem sich auch Concordia Sagittaria und Portogruaro befinden, einst Sumpfgebiet war und in mühsamer Arbeit trockengelegt werden musste.
Seinen Beinamen Sagittaria, verdankt Concordia den Römern. Die stellten in dort Pfeile her, was dazu führte, dass aus Julia Concordia irgendwann Concordia Sagittaria wurde, vom lateinischen Sagitta: Pfeil.
Auch die ersten Christen haben in Concordia Sagittaria ihre Spuren hinterlassen. Die sogenannte Trichora beispielsweise zeugt davon. Ein Gebäude mit drei halbkreisförmigen Altarnischen, das wohl zu Ehren der unter Diokletian verfolgten Märtyrer errichtet wurde. Die Reste davon wurden neben der heutigen Kathedrale freigelegt. Weitere Überreste aus frühchristlicher Zeit befinden sich unter dem fast überdimensioniert wirkenden Hauptplatz der Stadt, der sich vor dem Eingang der Kathedrale ausbreitet.
Zur zeitweiligen Aufgabe der Stadt und zum zeitweiligen Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit führten, wie Fremdenführerin Paola Del Sal während der Besichtigungstour erklärt, einerseits der Einfall der Hunnen unter Attila sowie spätere Einfälle der Ungarn, andrerseits immer wiederkehrende Hochwasser. „Irgendwann hatten die Concordesen die Nase voll, Berge von Schlamm zu beseitigen und siedelten um“, erklärt Paola.
Dass die Hochwasser vieles mit Schlamm bedeckt haben, hat die Zeugnisse antiker Siedlungen für die Nachwelt bewahrt. Für Geschichtsinteressierte ein Vorteil, für bauwillige Concordesen mit Schwierigkeiten verbunden, erzählt Paola weiter und führt zu einem modernen Gebäude mit ungewollt markanter Architektur, dessen eine Hälfte oben um ein zusätzliches Stockwerk erweitert werden durfte, weil unten, anstatt des ursprünglich geplanten Erdgeschosses, ein freier säulengestützter Raum bleiben musste, der antike Mauerreste überspannt. Der Grund: während der Bauarbeiten wurde dort eine römische Kloake entdeckt, von historischer Bedeutung und voller Fundstücke. Anscheinenden haben die alten Römer vieles übers Abwasser entsorgt, was für den täglichen Gebrauch nicht mehr von Nutzen war und heute im Museum steht.
Ein Fahrrad, etwas historische Interesse und die Lust einen beschaulichen Tag zwischen Gegenwart und Vergangenheit verbringen zu wollen, sind die besten Voraussetzungen um Concordia Sagittaria und Portogruaro zu erkunden. Denn Teile der Ausgrabungen aus Concordia Sagittaria sind in Portogruaro, im Ende des 19. Jahrhunderts dort eigens erbauten Museo archeologico nazionale concordiese, untergebracht. Darüber hinaus ist Portogruaro ein bezauberndes Städtchen mit vielen Arkaden, einem gotischen, zinnengeschmückten Rathaus, das die Piazza della Repubblica dominiert oder einer antiken Wassermühle aus dem 12. Jahrhundert, in der heute eine Kunstgalerie untergebracht ist. Jeden zweiten Samstag im Monat bringt ein großer Flohmarkt ein ganz besonderes Flair nach Portogruaro.
Dass beide Städte am Fluss Lemene liegen, gerade einmal drei Kilometer voneinander entfernt und durch einen abends beleuchteten Radweg miteinander verbunden sind, macht das Fahrrad auch für weniger ambitionierte Radler zum idealen Fortbewegungsmittel. Und dann gibt es ja schließlich noch, aus der Vergangenheit wieder zurück in der Gegenwart, die vielen netten Bars, die zum Pause machen bei einem Espresso oder einen Aperitif einladen.