Nach Pollenzo, einen Ortsteil von Bra, verirrt sich kein Ausländer, wenn er nicht schon auf dem Weg nach Alba ist, der berühmten, im norditalienischen Piemont gelegenen Stadt des weißen Trüffels. Zumindest denkt man das, liegt aber falsch. In Wahrheit ist Pollenzo auch so manchem Ausländer ein Begriff. Der eine kommt um die Ausgrabungen aus der Römerzeit zu sehen, der andere um den Landsitz, den sich König Carlo Alberto 1832 errichten ließ, zu besichtigen. Und dann gibt es noch diejenigen, die Pollenzo in- und auswendig kennen, weil sie hier studieren. Denn seit 2004 befindet sich hier, in einem Flügel der ehemaligen königlichen Gemächer untergebracht, die Università delle Scienze Gastronomiche, eine Gastronomiehochschule. Heute zählt sie an die 300 Studenten, 60 Prozent davon aus dem Ausland kommend. Gegründet wurde sie von Carlo Petrini, dessen Name vor allem, aber nicht nur, den Slow Food Adepten ein Begriff ist.
Was den Studienplan betrifft, so bietet sich nicht Kochkurse an, um an etwaigen Kochwettbewerben teilzunehmen, vielmehr fußt er auf dem Prinzip der Gastfreundschaft und der Aufnahme. Will heißen, neben dem ABC der Kochkunst geht es hier auch um andere Kulturen und um Diplomatie. Denn es ist Petrinis feste Überzeugung, dass „die lokale Küche so etwas wie eine zweite Muttersprache ist, Dank der wir unsere Wurzeln und die der anderen wahrnehmen“.
Carlo Petrini, 68 Jahre alt, ist der Gründer der in den 80er-Jahren ins Leben gerufene Slow Food Bewegung. Aus dem damaligen Protestsamen gegen die fortschreitende Kolonisierung der Fast Food Ketten, ist riesiger, irrwitzig verzweigter Baobab geworde. Ein jeder ein jeder der knorrigen Äste trägt eine Frucht, steht für ein neues Unterfangen. Wie „Terra Madre“, ein Netz aus Landwirten die sich zusammengetan haben, um lokale Landwirtschaft und nachhaltige Produktionsmethoden zu fördern. Heute ist „Mutter Erde“ in über 150 Länder verstreut. 2014 wurde die Initiative „10.000 Orti per il futuro dell’Africa“(10 Tausend Gemüsegärten für Afrikas Zukunft) gestartet. „Afrikas Boden gehört den Afrikanern. Es muss endlich Schluss sein mit dem Verkauf an Ausländer. Deswegen sind diese Gemüsegärten auch ein politischer Akt“ wird Petrini nicht müde zu wiederholen.
Das Time Magazine kürte ihn 2004 zum „European Hero“, wobei ihm jegliche heldenhafte Allüre fremd ist. Einst ging es um den Klassenkampf, heute um den Planeten und um die zig-Millionen herumirrenden Menschen. Weswegen es für ihn eine Selbstverständlichkeit ist, sich gegenüber der Mutter Erde, seinen Mitmenschen und der anderen darauf lebenden Kreaturen verpflichtet zu fühlen.
Dass Gastfreundschaft und Aufnahmebereitschaft Teil des menschlichen Erbguts ist, gehört zu seinen festen Überzeugungen. Abgesehen davon wurde er auch in diesem Sinne erzogen. Bei den Bauern seiner Gegend, also um Bra, war es generell Brauch am Esstisch immer ein zwei Plätze für unangekündigte Gäste bereit zu halten. Und gleich ob Wanderer oder Bettler, der Gast saß an der Seite des Hausherrn und genoss dieselben Rechte wie jedes andere Familienmitglied.
„Ich kann mich noch ganz genau erinnern, dass zu Weihnachten und zu Ostern bei meinen Großeltern immer auch dieser fremde Mann mit uns am Tisch saß. Im Ort hielt man ihn für einen Außenseiter, für mich als Kind war eine komische Kauz. Aber, dass er an diesen Feiertagen, mit uns aß, war eine Selbstverständlichkeit. Und wenn ich so zurückdenke, muss ich sagen, diese Einstellung, diese ‚forma mentis’ gegenüber seinem Mitmenschen, hat mir viel mehr gelehrt, als jegliche politische Grundsatzerklärung“.