Sollten Sie Italienisch sprechen und die italienische Küche lieben (ein Italiener würde hier gleich mit der Frage unterbrechen: „Wer liebt sie denn nicht?“) dann besorgen Sie sich unbedingt das Buch von Massimo Montanari „Il mito delle origini – Breve storia degli spaghetti al pomodoro“, „Der Mythos des Ursprungs – Eine kurze Geschichte über die Spaghetti mit Tomatensauce“ (Vlg. Laterza). In dieser kurzgefassten Pasta-Story, das Buch ist gerade einmal 120 Seiten lang, erzählt Montanari, ein Historiker der den Ursprüngen der Speisen nachforscht, eine spannende Geschichte, mit vielen interessanten Details, von denen auch ein Italiener bis dato nichts wusste. Wie kam es also zu diesem Gericht, das weltweit den Inbegriff von Italien darstellt und ohne dem sich ein Italiener einen Tag nicht vorstellen könnte?
Was man als erstes wissen muss ist, dass Spaghetti und Tomaten eine Zeit lang getrennte Wege gegangen sind. Na ja, die Tomaten kamen ja erst nach Kolumbus Entdeckung Amerikas 1492 nach Europa, während die Pasta schon lange ein Begriff hierzulande war.
Noch vor den Alten Römern wurde frische Pasta aus Weizen gewonnen, doch es waren die Araber, die zwischen 700 und 1100 in Sizilien herrschten und den entscheidenden Schritt machten, Dank dem im Laufe der Zeit auch die Spaghetti aus der Taufe gehoben wurden. Von ihnen stammt das Prozedere der Trocknung. Die ersten Spaghetti-Esser waren also die Sizilianer. Mit den wechselnden Herrschaften, Spanier, Franzosen und den kolonialen Marinerepubliken, zum Beispiel Genua, der es aber vornehmlich um den Handel ging, begann auch die Wanderung der Spaghetti entlang der Küsten Italiens. Spuater wurden neue Instrumente hergestellt, wie das „Ferretto“ (Eisenstäbchen) und das Röhrchen, die den Trocknungsprozess erleichterten und verbesserten. 1400 kam dann der Begriff „Spago“ im Umlauf. Spago bedeutet auf Deutsch Bindfaden. Aus dem Wort Spago wurde im Laufe der Jahrhunderte das Wort „Spaghetto“ beziehungsweise der Begriff „Spaghetti“.
Dass es am Ende die Neapolitaner waren, die das Rezept der „Spaghetti al pomodoro“ erfanden, ließt man im Kochbuch „La cucina casereccia“, „Hausmannskost“ aus dem Jahr 1807. Wer der Autor dieses Buches ist, bleibt jedoch bis heute ein Geheimnis, denn dieser signierte sich nur mit den Anfangsbuchstaben M. F. In diesem Buch findet man das Rezept der „Maccheroni alla napoletana“. Diese müssten „al dente“ gekocht sein, schreibt er und mit geriebenem Caciocavallo-Käse und einer dickflüssigen Ragù-Sauce serviert werden. Da sich aber die ärmeren Bevölkerungsschichten kein Fleisch leisten konnten, begnügen sie sich damit ein Stück Speck leicht anzubraten und dann die passierten Tomaten dazu zu geben. Die Zugabe von Basilikum, das ursprünglich aus Indien und Afrika stammt, verdankt man wiederum dem neapolitanischen Gastronom Ippolito Cavalcanti. Eigentlich ein kinderleichtes Rezept und wenn man es mit dem Olivenöl und den Portionen nicht übertreibt, eine absolut gesunde Kost.
Beim Ragù ist das Prozedere dann schon etwas aufwendiger. Nicht was die Zutaten betrifft: Hackfleisch, einen Spritzer Rotwein, Tomaten und Olivenöl, das ist alles (Achtung: Zwiebel und Knoblauch werden vom Originalrezept verpönt!). Das neapolitanische Originalrezept sieht aber vor, dass sich die Kochzeit des Ragù bis ins Unendliche ziehen kann, also von fünf Stunden hinauf, und je länger diese Fleischsauce köchelt umso besser schmeckt sie. Fertig ist sie wenn ihre Farbe dunkelrot, fast schon leicht bräunlich ist und sich eine dünne Kruste am Rand bildet.
Summa summarum: Das Trocknungsprozedere wurde von den Araber eingeführt, die Tomaten stammen ursprünglich aus Amerika, das Basilikum wurde aus Afrika und aus Indien eingeführt. Spaghetti al pomodoro ist also ein Gericht zu dessen Entstehung viele Kulturen mitgewirkt haben. Die Zutaten haben sich aber so gut integriert, dass sie das italienische Nationalgericht hervorzauberten.
Und daraus kann man wiederum schlussfolgern, dass der Austausch unter Völkern auch für den Gaumen ein Segen ist.