Italien ist ein bei Touristen aus aller Welt beliebtes Urlaubsziel. Und gilt als der Deutschen liebstes Reiseland. Nicht immer werden die Touristen von den Einheimischen mit offenen Armen empfangen. Proteste gibt es vor allem bezüglicher einer Kombination: Überlaufene Urlaubsorte und touristische Fauxpas. Wie Nacktbaden im Trevi-Brunnen in Rom oder Kirchenbesuche in Flipflops und Bikini. Beides wurde in diesem Sommer von den italienischen Medien reichlich kritisiert. „Ist das der rüpelhafteste Sommer aller Zeiten?“ titelte beispielsweise der Corriere della Sera. Gleichzeitig werben Destinationen abseits des Massentourismus um mehr Besucher und wollen die Touristen in die schöne Provinz Italiens locken. 2017 wurde von Dario Franceschini, italienischer Minister für Tourismus und Kultur, zum Jahr der Borghi erklärt. Mit einem „Borghi di Eccellenza“ genannten Programm soll nachhaltiger Tourismus in den ursprünglichen Dörfern des Hinterlands gefördert werden. Ziel ist es, einen sanften Tourismus im Einklang mit Umwelt und Einwohnern zu entwickeln. Dafür soll ein nationales Forum Richtlinien und einen Atlas der Borghi erstellen. Basis dafür soll der Reichtum an Geschichte, Kultur und Tradition der Borghi sein, die die Touristen auf authentische Weise kennenlernen sollen. So auch auf Sardinien.
Torrai bocche- wir würden uns freuen, wenn Ihr wiederkommt! „Wir bitten die Touristen gerne in unser Wohnzimmer. Das machen hier alle so, weil wir die Gastfreundschaft im Herzen haben“, erklärt Pasqualino Piga bei einem Glas selbstgekelterten Wein, während seine Frau Ignazia in der Küche den Espresso aufsetzt. Gastfreundschaft auf sardisch.
Kurz zuvor sind die Besucher noch alleine durch den historischen Ortskern von Oliena spaziert. Jetzt sitzen sie, mit ihnen gänzlich unbekannten Dorfbewohnern, am Tisch und erleben deren Heimatdorf, anstatt es einfach nur zu besichtigen.
Oliena ist eines von sieben Dörfern auf Sardinien, die am Programm „Borghi di Eccellenza“ teilnehmen. Einem Programm, das unter anderem kulturerhaltende städtebauliche Maßnahmen in besonders authentischen Dörfern finanziell unterstützt. Und das eben diese „Schönsten Dörfer“ Sardiniens als Ziel für all diejenigen bewirbt, die gerne abseits von Massentouristenpfaden reisen, nachhaltigen Tourismus schätzen und dabei die lokalen und kulturellen Besonderheiten der besuchten Dörfer kennenlernen möchten.
Eine Besonderheit Olienas sind, neben der Gastfreundschaft im Herzen, auch die dorftypischen Cortes. Innenhöfe, um die herum einst die Wohnhäuser erbaut wurden. Über Jahrhunderte waren dieses Innenhöfe Lebens- und Arbeitsort und gleichzeitig sozialer Treffpunkt. Rund dreihundert solcher Cortes verstecken sich im historischen Stadtkern, in verwinkelten Gassen hinter Holz- und Metalltüren. Bröckeln teilweise dem Verfall entgegen, sind und sollen mit finanzieller Förderung im Rahmen der „Borghi di Eccellenza“ wieder restauriert werden.
In der Via Monte Grappa 5 ist es ausdrücklich erwünscht, dass die Touristen auf eigene Faust, neugierig die graugrüne Eisentüre öffnen, in den malerischen Innenhof eintreten und von dort aus die steilen Steinstufen in einem der an den Hof angrenzenden Häuser hinaufsteigen. Dort ist ein kleines Privatmuseum eingerichtet. In mehreren Räumen, in denen noch Reste der einst direkt auf den Putz gemalten, azurblauen Wandfarbe zu sehen sind, geben zahlreiche Exponate Einblick in das Alltagsleben von einst. Gerätschaften, um das typisch sardische Pane Carasau herzustellen, ein flaches an Pfannkuchen erinnerndes Brot, gehören ebenso dazu wie landwirtschaftliche Gerätschaften oder buntbemalte Metallbetten und ortstypische Trachten.
Einige Gassen weiter fertig Franco Corrias Geldbeutel, Gürtel und Schuhe ganz nach klassisch traditioneller Handwerkskunst. Mit Materialien und Techniken, wie sie bereits seine Vorfahren verwendeten. Das Leder für die traditionellen Schuhe der Schäfer wird per Hand über die Leisten gezogen und anschließend, selbstredend ebenfalls per Hand, mit einer doppelten Naht an der Sohle befestigt. Berühmtester Träger der handgemachten Schuhe aus Oliena, die in diesem Fall ausnahmsweise aus weißem Leder gefertigt wurden, ist Papst Franziskus.
Die Reise durch die „Schönsten Dörfer“ Sardiniens, durch die „Borghi di Eccellenza“, ist immer auch eine Reise durch die Geschichte, die Traditionen und das Kunsthandwerk Sardiniens.
„Castelsardo ist eines der schönsten Städtchen Nordsardiniens, wenn nicht das schönste“, erklärt Fremdenführerin Manuela Tugulu den Besuchern gleich zu Beginn der Führung durch die verwinkelten Gassen des auf einem Berg gelegenen Ortes. Höchster Punkt ist das Castello. Eine Verteidigungsanlage, die um 1250 entstanden ist. Noch heute beeindruckt das Castello mit imposanten Mauern, die direkt aus dem Felsen zu wachsen scheinen. Beim Blick von der obersten Terrasse über das Meer und auf die unmittelbare Umgebung, versteht der Besucher sofort, warum die Verteidigungsanlage gerade an dieser Stelle erbaut wurde. Imposant und uneinnehmbar thront sie auf dem Felsen, währen auf dem Meer weit unten die Schiffe ameisenklein wirken.
Im Inneren der Festung ist ein Korbflechtmuseum untergebracht. „Es zählt zu den meistbesuchten Museen auf ganz Sardinien“, erzählt Manuela Tugulu, weil in Deutschland aufgewachsen übrigens in perfektem Deutsch, und erläutert, dass das Korbflechten früher sehr wichtig war und die Beherrschung dieses Handwerks ein Muss für jede Frau gewesen sei. Damals waren die Körbe innen aus Seegras und außen aus Palmblättern. Diese Materialien, in Verbindung mit einer speziellen Flechttechnik, machten die Körbe wasserdicht und damit alltagstauglich. Noch heute werden in Castelsardo Körbe geflochten. Wer einen davon als Souvenir erstehen möchte, sollte am besten direkt bei einer Korbflechterin im Ort kaufen, rät die Fremdenführerin. „Ansonsten kann es passieren, dass der vermeintliche Korb aus Castelsardo in Wirklichkeit Made in China ist“.