Was haben Schneeflocken mit Neapel zu tun? Einmal abgesehen davon, dass das Wetter zunehmend verrückt spielt und es auch in Neapel schneien kann? Um auf diese Frage zu antworten, lohnt es sich etwas weiter auszuholen.
Weihnachten steht vor der Tür, man bereitet sich auf die Festtage vor. Die Weihnachtsmärkte in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben Hochkonjunktur. Immer mehr Italiener heben sich ein paar Urlaubstage auf, um im Dezember nach München, Salzburg oder anderswo einen dieser Traditionsmärkte zu besuchen, sich mit Weihnachtskugeln und Lebkuchen einzudecken und die besinnliche Atmosphäre zu genießen.
Es geht also Richtung Norden, den Süden hebt man sich für den Sommer auf. Außer man hat eine besondere Leidenschaft für Presepi, Weihnachtskrippen. Wenn dem so ist, dann sollte man auf unbedingt nach Neapel, denn die Stadt genießt unter den Krippenherstellern einen ganz besonderen Stand. Man braucht nur die Via San Biagio dei Librai, die Einheimischen nennen sie Spaccanapoli (weil sie die Altstadt durchquert), entlangzuspazieren. In den Botteghe (kleinen Geschäften) findet man alles was das Herz für die selbstgebastelte Krippe begehrt. Ein kleiner Rat: kaufen sie bei den lokalen Kunsthandwerkern ihre aus Ton geformten und bemalten Figuren und nicht Made in China Ramsch.
Wer stattdessen die Werkstatt eines Krippenkunsthandwerkers besichtigen möchte, der könnte den schon des Öfteren mit Preisen ausgezeichneten Biagio Roscigno im Rione Sanità aufsuchen. Seine Werkstatt befindet sich im Hof des wunderschönen, aus dem Jahr 1738 stammenden Palazzo dello Spagnolo.
Überhaupt lohnt sich ein Besuch im Rione Sanità (im Viertel Sanità). Und das nicht nur, weil Sie sich so der neapolitanischen Schneeflocke nähern. Hier befinden sich auch die drei wichtigsten Katakomben Neapels: die Catacombe di San Gennaro, dem Stadtpatron; die von San Gaudioso und die von San Severo.
Mit der Unterstützung von Don Antonio, dem Pfarrer des Viertels, hat sich vor 12 Jahren eine Gruppe Jugendlicher aus den Rione Sanità zusammengetan und die Genossenschaft La Paranza gegründet. Dank ihres Engagements wurden die ersten zwei Katakomben (die von San Severo muss noch saniert werden) wieder zugänglich gemacht. Führungen finden in beiden täglich statt. Doch die Mitglieder der Paranza haben nicht nur dafür gesorgt, dass diese einzigartigen unterirdischen Grabstätten wieder zu besichtigen sind, ihre Initiative hat dem ganzen Viertel eine Zukunftsperspektive geschenkt.
Der Rione Sanità zählt seit je her zu den Problemvierteln der Stadt. Doch langsam scheint sich das Blatt zu wenden. Immer mehr Touristen kommen hierher, und zwar nicht nur wegen den Catacombe, sondern auch um die Kirchen, die Palazzi aus dem 18. Jahrhundert, den Botanischen Garten, das Archäologische Museum MANN zu besichtigen, oder schlendern einfach durch den Wochenmarkt, der täglich außer Sonntag, Via Vergini belebt.
Und einmal in via Vergini, ist man von der Pasticceria Poppella, und demzufolge vom Fiocco di neve, der Schneeflocke, nur mehr einen Katzensprung entfernt. Diese Bäckerei ist Teil des Stadtviertels, genauso wie der Markt und all die anderen Sehenswürdigkeiten die es auszeichnen. 1920 wurde sie von Raffaele Scognamillo und seiner Gemahlin Giuseppina, von allen Poppella genannt, eröffnet. Am Anfang waren es die Taralli nzogna e pepe (ein Trockengebäck stark gepfeffert und mit Mandeln und Schweinfett zubereitet), die den Weg zum Erfolg ebneten. Mittlerweile ist die 3. Generation am Zug und neben der Bäckerei gibt es jetzt auch die Konditorei (Pasticceria) Poppella, wo der Enkel Ciro, gelernter Zuckerbäcker, süße Köstlichkeiten aus dem Backofen zaubert. Und zu diesen zählt auch der Fiocco di neve: ein zartes Hefeteigbällchen mit schaumiger Quarkmasse gefüllt, das wie eine Schneeflocke im Mund zergeht.
Was es mit dieser Schneeflocke auf sich hat, erzählt eine Legende. Man schrieb das Jahr 1943, Neapel wurde von den Alliierten tagelang bombardiert. Die Bewohner des Rione Sanità flüchteten in die Katakomben. Und da begegneten sich die schüchterne Clara und der junge aus Triest stammende Soldat Vittorio. Es waren immer flüchtige Begegnungen, Zeit zum sich näher Kennenlernen war keine. Doch eines Tages gab sich Vittorio einen Ruck und bat Chiara um ein Treffen außerhalb der Katakomben. Die junge Frau sagte jedoch, dies sei unmöglich, da müsste es erst in Neapel schneien. Vittorio ließ sich aber nicht so leicht abwimmeln und rang Clara das Versprechen ab, sollte es wirklich einmal in Neapel schneien, müssten sie sich unbedingt wiedersehen und dann für immer zusammenbleiben. Kurz danach verloren sich die beiden aus den Augen. Das Wunder geschah aber wirklich und zwar schon an jenem Abend: als sich die Menschen langsam wieder aus dem Katakomben trauten, schneite es. Ob sich Chiara und Vittorio wiedergefunden haben, erzählt die Geschichte nicht. Ciro hat ihnen aber mit seinem Fiocco di neve ein immerwährendes Denkmal gesetzt.