Monti della Daunia – himmlisch, höllisch, leidenschaftlich

Das Paradies und die Hölle liegen dicht beieinander und die Leidenschaft ist auch nicht weit entfernt. Zumindest in Apulien in den Monti della Daunia. Gerade mal rund ein Kilometer liegt zwischen dem Paradies von Peppe Zullo und der Höllenpizza von Angelo Di Baccari. Etwa dreizehn Kilometer sind es bis nach Troia. Eine Stadt mit doppeldeutigen Namen, der im Italienischen gleichzeitig die Bezeichnung für eine Frau ist, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachgeht und in der die Süßspeisenspezialität – la Passionata – die Leidenschaft im Namen trägt. In der näheren Umgebung liegen Bovino oder Pietramontecorvino, zwei kleine Städtchen, die zur Vereinigung „I Borghi più belli d’Italia“ gehören, einem Zusammenschluss besonders schöner Ortschaften.

„Willkommen im Paradies!“. Peppe Zullo steht mit ausgebreiteten Armen zwischen laut schnatternden Gänsen und Enten. Die gehören ebenso zur in der Via Piano Paradiso in Orsara gelegeneren Villa Jamele wie die schwarzen Schweine, ein Restaurant, die Kochschule und natürlich die Wildkräuter. Die wachsen in einem romantischen Wäldchen und aus ihnen zaubert Peppe Zullo himmlisch raffinierte Gerichte. In seiner Kochschule lehrt er, wie die traditionelle apulische Küche mit dem Können eines Küchenchefs eine schmackhafte Verbindung eingehen kann. Das gemeinsame Sammeln der Wildkräuter zuvor, inklusive. „Simple food for intelligent people“, bringt er seine Koch-Philosophie in Englisch auf den Punkt. Gemeint ist eine schmackhafte, gesunde Küche aus einfachen, lokalen Zutaten. Bereits die Vorspeise aus frittierten Wildzwiebeln – den lampascioni – Püree aus gelben Tomaten auf Pan Pugliese – dem typischen Brot aus der Gegend – und Borretsch-Blättern überzeugt auch die letzten Skeptiker. Ostriche di montagne – Bergaustern – nennt Zullo die Borretsch-Blätter, die er mit einem Hauch aus in Wasser aufgelöstem Mehl überzieht und anschließend frittiert.

Angelo (auf Deutsch der Engel) Di Biccari trägt zwar einen himmlischen Namen, fühlt sich ansonsten aber eher dem Höllenelement Feuer verbunden. Im ehemaligen Backhaus, im Ortskern von Orsara befeuert er einen Ofen aus dem Jahr 1526 noch ganz traditionell mit Stroh und bäckt darin die für die Gegend typischen, großen Brotlaibe. „Einst mussten die Dorfbewohner pro Laib bezahlen, wenn sie ihr Brot ins Backhaus brachten. Um Geld zu sparen, haben sie die Laibe so groß gemacht, dass sie gerade noch durch die Ofentür passten“, erklärt er den Besuchern, bevor er über den Brotteig ins Philosophieren gerät. Den Teig müsse man, wie ein Kind beim Aufwachsen, erziehen, meint er. Ihn beim mehrfachen Gehen beobachten und anschließen über zwei Stunden im strohbefeuerten Ofen backen. Wenn Angelo alles richtig macht, zieht er am Ende ein knuspriges Brot mit zwei Zentimeter dicker Kruste aus dem Ofen. Aus dem gleichen Teig fertigt er auch seine Pizza al Acqua. Eine Pizza, die mit Brot, Mozzarella und Stängelkohl belegt, optisch zwar ganz harmlos daher kommt, aber eine höllisch scharfe Erinnerung hinterlässt. Die Peperoncini sieht man nicht, die spürt man nur!

Lucia Casoli und ihr Mann Nicola Mecca haben es mit der Leidenschaft. Das kommt daher, weil ihre Pasticceria in Troia genau gegenüber vom Dom liegt. Dessen orientalisch anmutende Rosette gilt als die schönste Apuliens und besteht unüblicher Weise aus ungeraden elf schlanken Säulen. Die laufen wie Radnaben in der Mitte zusammen und umrahmen die mit kunstvollen Steingittern, in verschiedenen Mustern verzierten Zwischenräume. „Wir wurden von den die Rosette bestaunenden Dombesuchern immer wieder gefragt, was denn eine typische Spezialität Troias ist“, erzählt Nicola Mecca. Nach einigen Überlegungen hätten sie die Passionata kreiert. Mit Mandelpaste überzogene kleine Törtchen aus Ricotta, Marzipan und Biskuitteig; alles typische Zutaten aus der Gegend. Der Name, so Mecca, gehe auf die Leidenschaft – auf die Passione – zurück, mit der diese Süßspeise entwickelt worden sei. Und auf die Botschaft, die die beiden mit ihren Törtchen transportieren möchten: Das Leben leidenschaftlich zu genießen. 

Das leidenschaftliche Genießen ist in dieser Region Apuliens nicht schwer. Nicht nur in kulinarischer Hinsicht. Während Städte wie Bari und Lecce oder die Region Salento schnell mit Apulien in Verbindung gebracht werden, gehört die abgelegene Gegend der Monti della Daunia zu den unbekannten und touristisch noch relativ unerschlossenen Gebieten dieses Landstrichs. Dabei hat der bergige Apenninenausläufer, der im Nordwesten Apuliens die Grenze zu Kampanien bildet, viel zu bieten für alle die, die gerne abseits ausgetretener Touristenpfade reisen und ein authentisches Italien erleben möchten. Dabei ist ein eigenes Auto ist von Vorteil, denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind viele der kleinen Städte nur umständlich zu erreichen. Im Gegenzug bieten sie den Touristen önogastronomische Vielfalt, einen typischen Lebensstil und sind reich an Kultur und Traditionen. „Wer an einem ruhigen Ort Neues entdecken möchte, die Natur liebt und Kultur schätzt, ist in den Monti delle Daunia genau richtig und kann gleich in Bovino anfangen. Denn Bovino ist das erste Borgo in den Monti Dauni, aber nur einer von vielen kleinen, interessanten Orten“, erklärt Michele Dedda, Bürgermeister von Bovino. Dabei steht er vor der Kathedrale Santa Maria Assunta, die der älteste Kirchenbau Apuliens sein soll. Weiter oben im Ort befindet sich das Castello Ducale mit dem Diözesanmuseum, ein Burgschloss, dessen normannischer Rundturm den ganzen Ort dominiert…

Ebenfalls in dominanter Lage, am höchsten Punkt des Borgo und ebenfalls normannischen Ursprungs ist der – allerdings rechteckige – Turm der Burganlage von Pietramontecorvino. Wer hier hinaufsteigt, wird auf der einen Seite mit einem atemberaubenden Landschaftsblick belohnt, auf der anderen Seite fällt der Blick in den Ortskern. Der lässt sich am besten zu Fuß erkunden, besonders die vielen kleinen Gässchen, die nur aus Treppen zu bestehen scheinen und vom tiefer gelegenen Ort hinauf in Richtung Burganlage führen.

Pietramontecorvino gehört, wie Bovino auch, der Vereinigung „I Borghi più belli d’Italia“ an. Ein Zusammenschluss von kleinen Orten, entfernt mit Wehrdörfern vergleichbar, die vom Mittelalter bis zur Renaissance um eine Burg, ein Schloss oder ein Kloster entstanden sind. „In ein Borgo zu gehen, ist wie jemanden zu Hause zu besuchen. Man darf nichts groß Spektakuläres erwarten, aber kann viele kleine Besonderheiten entdecken“, charakterisiert Fiorello Primi, der Vorsitzende der Borghi più belli d’Italia was die Touristen in einem Borgo erwartet. In den Monti della Daunia gilt das nicht nur für die Borghi, sondern auch für die anderen himmlisch, höllisch, leidenschaftlichen kleinen Orte, die mit ihren ganz eigenen Besonderheiten aufwarten…

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