Das große Senknetz erinnert etwas an ein an seinen vier Ecken aufgehängtes Taschentuch. Über vier 22 Meter hohe Pfosten, zwei auf jeder Flussseite, gleiten – betrieben durch einen Elektromotor – lange Seile auf und ab. Lassen das Fischernetz unter der Wasseroberfläche verschwinden und ziehen es in regelmäßigen Abständen wieder aus dem Wasser heraus. Hängt das Netz über der Wasseroberfläche, rudert Daniele Ciprian sein kleines wackeliges Boot im Stehen in die Flussmitte, genau unter das Netz, öffnet den großen Knoten in der Mitte und lässt alle Fische, die das Pech hatten, genau dann über das Netz zu schwimmen, als dieses hochgezogen wurde, in eine schwarze Plastikwanne gleiten. Die zu kleinen und die nicht essbaren werden noch an Bord aussortiert und wieder ins Wasser geworfen. „Am liebsten würde ich alle wieder frei lassen, aber ein paar brauche ich ja zum Kochen“, lacht Daniele und verschwindet, kaum an Land zurück, in einer Miniküche, wo er seinen Fang weiterverarbeitet.
Eigentlich hat Daniele einen Uniabschluss in Medientechnologien. Und wären da nicht sein Großvater gewesen und seine – in frühste Kindheit zurückreichende – Passion für die Fischerei und die Natur, wer weiß was er heute machen würde. So haben die Leidenschaft für die Fischerei und das Erbe des verstorbenen Großvaters dazu geführt, dass Daniele außer dem Uniabschluss auch noch einen Berufsfischersschein hat, in der Vergangenheit regelmäßig den Winter über als Skipper auf Sportfischerbooten in der Karibik anheuerte und heute die Bilancia di Bepi betreibt. Mit dem Ziel, Tradition und nachhaltigen Tourismus zusammenzubringen und den Touristen die Schönheit und die Artenvielfalt der Flora und Fauna im Naturschutzgebiet Foci della Stella näherzubringen.
„Es gibt im ganzen Friaul noch zwölf solcher Bilance. Zwei davon liegen dicht hintereinander hier im Seitenarm der Stella. Eine davon habe ich von meinem Großvater übernommen, um diese traditionelle Fischereimethode am Leben zu erhalten“, erklärt Daniele. Und setzt nach, historisch gesehen, sei das Fischen mit den Senknetzen, die vermutlich deshalb Bilancia genannt werden, weil ihre Form entfernt einer Waagschale ähnelt und Waage im Italienischen Bilancia heißt, eher in den Bereich der Sportfischerei eingeordnet worden. So hätte auch sein Großvater die Bilancia nebenher betrieben und seinen Lebensunterhalt im Gastgewerbe verdiente. Das ist bei Daniele etwas anders: er betreibt die Bilancia di Bepi kommerziell und mit Konzession, aber dennoch unter Wahrung des ursprünglichen Charmes.
Wer mit dem Auto kommt, durchquert zuerst einen Garten, den Daniele zu einem kleinen Paradies umgestaltet hat. Verschiedenartige Tische bieten ausreichend Platz zum Verweilen. An einem Baum hängt in einem glaslosen Rahmen ein aus einer Wurzel geschnitztes Gesicht. Am Rande steht Danieles neuste Errungenschaft: ein Food Truck. Dort bereitet er seine Spezialität zu, den frittierten Fisch aus der Lagune. Und erzählt: „Mit dem Food Truck möchte ich auch auf Märkte fahren und dort den Fisch verkaufen, den wir Fischer gerne essen, zum Beispiel frittiertes Meereschenfilet. Das ist unheimlich lecker, aber unbekannt, weil es einfacher ist Zuchtfisch zu verkaufen“.
Den Garten hat Daniele erst kürzlich dazu gekauft. Wer zur ursprünglichen Bilancia möchte, muss mit ein paar Schritten den Damm in Richtung Fluss überqueren, oder gleich mit dem Boot kommen. Dann sieht er zuerst die vom Großvater geerbte Holzhütte, die in Pfahlbauweise halb im Wasser steht. Der einzige große Innenraum ist geschmückt mit Gegenständen aus Seefahrt und Fischerei und mit einem ganz besonderen Foto. Es zeigt Ernest Hemingway mit seiner vierten Frau Mary und erhält eine persönliche Widmung Hemingways an seinen Freund Bepi.
Der Schriftsteller und Danieles Großvater hatten sich in Venedig kennengelernt und Freundschaft geschlossen. Die zweite Widmung auf dem Foto sei erst in jüngster Zeit dazu gekommen, wie Daniele fast schüchtern erzählt, als ein Enkel Hemingways ihn besucht habe und auf besagtem Foto zusätzlich auch seine Unterschrift hinterlassen hätte. Ob der berühmte Schriftsteller jemals bei Bepi in der Bilancia zu Gast war oder ihm das Foto an einem anderen Ort überreicht hat, ist nicht überliefert. Dass er ein großer Liebhaber der Lagunenlandschaft war, dagegen schon. Und das verbindet alle drei: Hemingway, Großvater Bepi und Daniele, der neben der Fischerei auch Exkursionen in das Naturschutzgebiet Foci della Stella anbietet.